Das Gewissen und die Ordnungen der Liebe

DAS GEWISSEN - Auszüge aus meiner Diplomarbeit
Wir unterscheiden zwischen drei Gewissen. Dem persönlichen Gewissen, dem kollektiven Gewissen und dem geistigen Gewissen. Sie wirken wie unsichtbare Energieströme in unsere zwischenmenschlichen Beziehungen hinein, ohne dass wir uns dessen gewahr werden. Diese Energiefelder haben einen so grossen Einfluss auf unser Denken, Fühlen und Handeln, dass wir ihnen oft auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind. Sie wirken eher wie ein Reflex oder ein Trieb in unser Leben hinein und beeinflussen unsere ganzes Sein. Wir werden von diesen Gewissen auf eine Art und Weise in den Dienst genommen, dass wir erschrecken würden, wenn wir das Muster oder die Absicht dahinter erkennen würden. Doch wer die Wirkungsweise der Gewissen verstanden hat, kann von diesen Einsichten Gebrauch machen und dieses Wissen, zum Beispiel beim Familienstellen, einfliessen lassen.

 

DAS PERSÖNLICHE GEWISSEN
Das persönliche Gewissen bindet uns an die Menschen, die für unser Überleben als Kind am wichtigsten waren. Normalerweise ist das unsere Familie, allen voran unsere Eltern, denen wir als Kind auf Gedeih und Verderb ausgeliefert waren. Daher tun wir alles erdenklich Mögliche, um es unseren Eltern recht zu machen, auch wenn das von uns verlangen würde, dass wir eine Person ausschliessen oder ihr Unrecht zufügen. Dieses Gewissen hat nichts mit Nächstenliebe zu tun. Nur durch unser „angepasstes“ Verhalten können wir unserer Zugehörigkeit sicher sein.

Wir erfahren dieses persönliche Gewissen vor allem als gutes und als schlechtes Gewissen. Wenn wir so sind, wie unsere Eltern das von uns erwarten, also so denken, fühlen und leben, wie sie es vorgeben und von uns fordern, dann fühlen wir uns unschuldig und gut und müssen keine Angst haben, unsere Gruppenzugehörigkeit zu verlieren. Tun wir aber etwas, was in unserer Familie als ungehörig gilt, fühlen wir uns schuldig und müssen vielleicht sogar mit einem Ausschluss rechnen. Ein Ausschluss aus der Familie ist für ein Kind das Schrecklichste, was ihm widerfahren kann. Es kommt einem Landesverweis gleich. Manchmal ist es ein emotionales, manchmal ein reales Todesurteil. Der drohende Ausschluss empfindet das Kind, durch das persönliche Gewissen, als Höchststrafe.

Die „Gesetze“ in einer Familie sind also selbstgemacht und haben oft nichts mit der Wirklichkeit zu tun. Sie unterliegen der Willkür und der Denkweise jeder einzelnen Familie. Diese entscheidet was richtig ist und was falsch. Daher vollbringen wir oft schlimme Taten mit gutem Gewissen und gute Taten mit schlechtem Gewissen. Das Barometer für Richtig oder Falsch, Gut oder Böse legt unsere Familie selber fest und nicht etwa eine übergeordnete Instanz (z.B. Gott). 

Wir erleben unser persönliches Gewissen aber so, als sei es das einzig Richtige, als unterstünde dieses Gewissen einer einzigen Macht. Wir gehen davon aus, dass  jeder andere Mensch dem selben Gewissen unterliegt und daher genau so denkt, handelt und fühlt wie wir. Als hätte er die gleichen Vorstellungen von Gut und Böse, Schuld und Unschuld, als würden wir alle mit den gleichen Massstäben messen.

Durch das persönliche Gewissen sind wir an unsere Familie oder an eine Gruppe gebunden. Wir wissen intuitiv, was unsere Bindung an sie aufrecht hält. Wenn wir zum Beispiel gleichzeitig mehreren Gruppen angehören, gelten in jeder Gruppe auch andere Spielregeln und Gesetzte. Wenn wir dazugehören wollen, akzeptieren wir stillschweigend die unausgesprochenen Gesetze und passen uns deren „Spielregeln“ und Gepflogenheiten an. Wer will schon ausgelacht werden oder sogar einen Ausschluss provozieren. So verhalten wir uns in unserer Familie anders als in der Schule und mit unseren Freunden, wieder anders als im Beruf oder im Sportverein, je nachdem was in dieser Gruppe für ein Verhaltenskodex gilt.

Das persönliche Gewissen wird am meisten repräsentiert, da es ein fühlbares Gewissen ist. Wenn ich zum Beispiel etwas tue oder sage, bei dem ich zum Voraus weiss, dass ich bei meinen Zuhörern oder Zuschauern auf Widerwillen stosse, bekomme ich sofort ein schlechtes Gefühl, weil ich Angst habe, ich könnte dadurch meine Zugehörigkeit zur Gruppe gefährden, auch wenn dieses Gefühl manchmal noch so aus der Luft gegriffen ist.

Hier ein Beispiel, wie das persönliche Gewissen funktioniert: Bei uns zu Hause war es früher immer sehr ordentlich, man hätte vom Boden essen können, so sauber war es. Da es bei mir nicht so sauber ist, bekomme ich immer ein schlechtes Gewissen, wenn meine Mutter zu Besuch kommt und ich beginne sofort zu putzen und aufzuräumen !?!

Ein Beispiel aus meiner Praxis, wie das persönliche Gewissen funktioniert:
In der Familie von Veronika darf nicht geschieden werden. Ihre Eltern sind im höchsten Masse katholisch. Als sie sich von ihrem ersten Mann trennt, ist das eine Katastrophe für ihre Eltern. Die Eltern sprechen tatsächlich darüber, ob sie ihrer Tochter bei sich eine kleine Wohnung einrichten sollen, den für die Eltern ist klar, Veronika wird den Rest ihres Lebens alleine bleiben. Als Veronika sich später wieder bindet und diesen Mann auch heiraten will, kriegt sie den Segen ihrer Eltern nicht.

Da wir nur zu viert sind, stelle ich folgendermassen auf: eine Person für ihre Eltern, eine für Veronika und ihren jetzigen Lebenspartner Simon, eine Person für ihren ersten Mann und ich stehe für den Segen. Die Person, die gemeinsam für Veronika und Simon steht, stellt sich  sofort vor Veronikas ersten Mann hin und macht eine tiefe Verbeugung vor ihm und, wie ich spüre, auch vor dessen Schicksal. Die Person, die für die  Eltern steht, schaut unwillig dabei zu und stellt sich sofort an die Seite von Veronikas erstem Mann, so als wollten sie demonstrieren, zu wem sie halten. Ich, als Stellvertreterin für den Segen, stelle mich auf einen Stuhl und so wird klar, ich repräsentiere nicht nur den Segen, sondern gleichzeitig die höhere Macht. Die Geste von Veronika und ihrem Partner freut mich, als höhere Macht sehr, und ich fühle auch, dass es richtig war, dass sich Veronika von ihrem ersten Mann getrennt hat. Ich segne mit meiner Haltung, indem ich die Handflächen nach vorne halte, ihre neue Beziehung. Ich fühle direkt, dass es sogar wichtig war, dass sich Veronika von ihrem ersten Mann getrennt hat, es gehört zu ihrem Leben und zu ihrer Entwicklung dazu. Ihr erster Mann würdigt die Verneigung und verlässt danach den Raum. Ihre Eltern marschieren hinter Veronikas erstem Mann aus dem Raum und schliessen hinter sich die Tür. Nach einiger Zeit kommen sie wieder herein und erzählen, dass sie draussen plötzlich bemerkt hätten, dass sie da nicht hingehören. Die Eltern kommen zu mir - der höheren Macht - und schauen mich lange an. Ich spüre einen unwahrscheinlichen Zorn in mir über ihre Anmassung, über Recht und Unrecht zu entscheiden. Plötzlich neigt die Person, die für die Eltern steht, ihren Kopf und ich als höhere Macht spüre förmlich, das Erstaunen in ihren Augen bei der Erkenntnis, dass ihr Gottesbild falsch ist. Ich als höhere Macht bin ihnen sofort gutgesinnt, denn ich spüre, wüssten sie um ihren Irrtum, würden sie Veronika sofort ihren Segen geben. Aber sie sind durch ihr persönliches Gewissen an das gebunden, was in ihren Familien seit Urzeiten Gültigkeit hat. Daher sind sie richtiggehend in ihrem Gottesbild gefangen. Ein solcher ausgesprochener Segen käme einer Gotteslästerung gleich. Nach dieser Verneigung gehen die Eltern zu Veronika und ihrem Partner und geben ihnen ihren Segen. Im wirklichen Leben konnten die Eltern ihr die Absolution für die Heirat aber nicht erteilen. Doch es kam zu einer salomonischen Lösung. Die Eltern blieben zwar der standesamtlichen Hochzeit fern, nahmen aber am anschliessenden Hochzeitsfest teil, obwohl es ein Ritterfest war, was ja absolut nicht zu einer traditionellen Hochzeit passt, eher einer Parodie eines "normalen" Hochzeitsfestes glich. Sie erschienen sogar verkleidet als Burgfräulein und Burgherr.

Anmerkung: Meine Lektion, dabei war, wie schnell doch gewertet wird, wenn eine Ehe auseinander geht. Wir sind hier alle über das persönliche Gewissen in den Denkmustern unserer Familien festgenagelt und unheimlich schnell zu einem Urteil bereit. Für mich war es eine neue Einsicht, zu sehen, dass manchmal ein Beziehungs-Aus oder eine neue Beziehung notwendig ist, um im Leben voran zu kommen.

 

DAS KOLLEKTIVE GEWISSEN (GRUPPENGEWISSEN)
Beim kollektiven Gewissen steht die Vollständigkeit der Familie oder einer Gruppe im Vordergrund. Es dient dem Überleben der ganzen Gruppe, selbst wenn Einzelne dafür geopfert werden; und es will, dass die Rangordnung in der Familie eingehalten wird. Der Einfachheit halber beziehe ich mich aber in meinen Erläuterungen auf die Familie. Es gelten in beiden Systemen (Familie und Gruppe) die gleichen Gesetze.

Das kollektive Gewissen erinnert vor allem an Menschen, die irgendwann aus der Familie ausgeschlossen oder ausgestossen wurden oder einfach in Vergessenheit geraten sind. Es bedient sich unschuldiger Nachfahren, oft sind es Kinder, welche sich ihrer Zugehörigkeit sicher sein können und überhaupt nichts mit der eigentlichen Ausklammerung zu tun hatten, und zieht diese für Etwas zur Rechenschaft, das andere vor ihnen verschuldet haben. Das kollektive Gewissen erinnert an das zu Unrecht Geschehene und hält der Familie so lange den Spiegel vor, bis die ausgeklammerte Person ihre Ehre und ihren rechtmässigen Platz in der Familie zurückerhält, also so lange bis das begangene Unrecht gesühnt ist, zum Beispiel durchs Familienstellen.

Dieses kollektive Gewissen wirkt im Verborgenen und bleibt für uns daher weitgehend unbewusst, wir fühlen es also nicht. Es unterscheidet nicht zwischen schuldig oder unschuldig und zwischen Gut oder Böse.

Die Ordnungen, nach denen sich das kollektive Gewissen orientiert, können wir daher nicht fühlen. Wir erkennen sie nur an ihrer Wirkung. Vor allem aber am Leid, das die Nichtbeachtung dieser Regeln für die betroffenen (verstrickten) Familienmitglieder mit sich bringt.

 

ORDNUNGEN DES KOLLEKTIVEN GEWISSENS

1. Gleiches Recht auf Zugehörigkeit
Das kollektive Gewissen gibt allen das gleiche Recht auf Zugehörigkeit. Diese Zugehörigkeit verliert man nie, auch nicht durch den Tod. Das kollektive Gewissen wacht darüber, dass allen, die dazugehören, dieses Recht auf Zugehörigkeit auch zugestanden wird.

Zum Familienfeld gehören:

  1. das Kind und seine Geschwister, auch die toten und die totgeborenen, die abgetriebenen und oft auch die abgegangenen sowie die verschwiegenen und die weggegebenen, natürlich auch die unehelich Geborenen und die Halbgeschwister;
  2. die Eltern und ihre leiblichen Geschwister, auch die toten und die totgeborenen, die abgetriebenen, die verschwiegenen und weggegebenen sowie unehelich Geborene oder Halbgeschwister, frühere Partner der Eltern;
  3. die Grosseltern und ihre früheren Partner sowie Geschwister der Grosseltern, die ein besonderes Schicksal erlitten;
  4. manchmal der eine oder andere der Urgrosseltern, diese aber eher selten;
  5. Menschen, an denen sich unsere Familie bereichert hat oder einen Vorteil aus deren Unglück oder Tod gezogen hat; oder jemand, durch den die Familie reich geworden ist, z.B. durch eine Erbschaft;
  6. Opfer, welche durch Mitglieder unserer Familie umgebracht wurden oder zu Schaden gekommen sind;
  7. Mörder; wenn Mitglieder unserer Sippe durch einen „Aussenstehenden“ ermordet wurden, gehört dieser auch zum Familiensystem, v.a. weil er abgelehnt wird;

Wenn zum Beispiel einem Mietglied der Familie dieses Recht auf Zugehörigkeit verweigert wird, übernimmt ein Nachfolgender (meistens ein Kind) stellvertretend dessen Schicksal. Das heisst, er denkt wie die ausgeschlossene Person, fühlt wie die ausgeschlossene Person, lebt ein ähnliches Leben, bekommt vielleicht die selbe Krankheit, scheitert in seinem Leben oder stirbt sogar auf eine ähnliche Art und Weise wie sein Vorfahre, so als würde er in dessen Fussstapfen treten. Der Nachkomme wird sozusagen vom kollektiven Gewissen in die Pflicht genommen, um die Rechte dieser Person in dessen Familie zu vertreten. Wenn aber die ausgeschlossene Person durch gefühlte Liebe ihren Platz in den Seelen der betroffenen Personen zurückerhält und somit die Gruppenvollständigkeit wieder hergestellt ist, löst sich diese Identifizierung auf und die „besetzte“ Person ist wieder vollkommen frei.

Die einfache Verschiebung
Beispiel aus meiner Praxis - Karin 42 Jahre, epileptische Anfälle

Karin hat etwa seit einem Jahr epileptische Anfälle, die immer in kürzeren Abständen auftreten. (Zur Person: Karin hat einen Bruder, der ungefähr vor zehn Jahren in Peru ermordet wurde. Dieser Mord lässt Karin nicht los, da sich der Rest der Familie, in ihren Augen, auch nicht um Aufklärung bemüht, ihren Bruder also regelrecht ausklammert). Da ich auf einer DVD gesehen habe, wie Bert Hellinger bei Epilepsie vorgeht, und dass er Epilepsie in Verbindung mit einem Mord sieht, hatte ich eine ungefähre Vorstellung wie ich in Karins Fall vorgehen würde. Trotzdem wollte ich absichtslos und unvoreingenommen in die Aufstellung hinein.

Ich fühlte mich in Karins „Familien-Feld“ ein  und begann intuitiv geführt mit der Aufstellung. Ich sagte zu Karin: „Deine Epilepsie steht für eine mörderische Wut! Drück sie mit deiner Körperhaltung aus! Geh in diese Wut hinein!“ Zuerst verneint Karin diese Wut, aber dann stelle ich eine Person vor sie hin und sage zu ihr: „Das ist der Mörder deines Bruders!“ Schlagartig ist ihre Wut da! Karin ballt sogar die Fäuste und bekommt einen höchst angespannten Gesichtsausdruck. Es wird klar, sie hat eine mörderische Wut in sich. Nach einiger Zeit stelle ich einen Stellvertreter für die Person in den Raum, die eigentlich so wütend sein sollte, wie Karin das stellvertretend für sie übernommen hat. Die „Mordlust“ fällt augenblicklich von Karin ab. Ich lasse sie sich langsam, den Personen nach wie vor zugewandt, zurückziehen. Zwischen dem Mörder, der „wütenden Person“ und dem Ermordeten, den ich später auch noch dazu stelle, kommt es zur Versöhnung und Karin ist frei. Es geht ihr sichtlich besser. Nach der Aufstellung, als sie neben mir auf dem Stuhl sitzt, spüre ich förmlich, wie es in ihrem Kopf kribbelt und sich innerer Friede ausbreitet!! Hier handelt es sich um eine einfache Verschiebung. Eine nachfolgende Person (Karin) lebt eine Wut für jemanden aus ihrer Familie aus, die nicht ihre eigene ist.

Klientin: Ein paar Tage später hatte ich ein Traum. Mein Bruder stand an der Haustür, nicht so wie ich ihn in Erinnerung habe, nein er sah aus wie in jungen Jahren, ungefähr 15 Jahre alt, aber ich wusste, dass er es war. Er lud mich ein, mit ihm ein Fest zu feiern. Es waren viele Leute da und es wurde ausgelassen gefeiert. Ich war total gerührt und gleichzeitig erleichtert und überglücklich und habe im Schlaf lange geweint...vor Glück!!!  

Die doppelte Verschiebung
Hier ist noch die doppelte Verschiebung zu erwähnen. Dies ist eine übertragene Identifizierung in einer aktuellen Beziehung. Das heisst, ein Nachkommender ist mit einer Person identifiziert, die ein schweres Schicksal hatte und macht seinen jetzigen Partner dafür verantwortlich, obwohl dieser natürlich nichts damit zu tun hat. Die Person ist sich ihrer häufig sehr emotionalen „Überreaktion“ zwar bewusst, kann sich aber nicht bremsen, so als ob der Unschuldige, den es trifft, tatsächlich etwas mit der Ursprungsgeschichte zu tun hätte.

Ein Beispiel hierfür: Meiner Grossmutter väterlicherseits wurden nach der Scheidung alle Kinder weggenommen und sie werden zudem in verschiedene Familien verteilt, weil der Grossvater ihr unterstellte, sie könnte mit den Kindern nicht umgehen. Das war damals auch die einzige Möglichkeit, um eine Ehe für "ungültig" erklären zu lassen. Er musste die erste Frau "schlecht" machen, um seine neue Liebe heiraten zu können. Dies hinterliess einen tiefen Schmerz und eine grosse Wut in meiner Grossmutter, was sie damals nicht ausleben konnte. Eine doppelte Verschiebung wäre hier, wenn eine nachkommende Frau in unserer Familie durch eine Identifizierung mit der Grossmutter ständig Angst hätte, ihr jetziger Mann würde ihr aus irgendeinem unerklärlichen Grund die Kinder wegnehmen. Sie würde ihren Mann  zur Verantwortung ziehen für das, was der Grossvater der Grossmutter angetan hat, indem sie ihren  Ehemann so behandelt, wie es der Grossvater in den Augen der Grossmutter verdient hätte und an ihm die Wut auslassen, welche die Oma eigentlich auf den Opa hatte.

 

2. Die Rangordnung
In jeder Familie oder jeder Gruppe herrscht eine Rangordnung vor, die besagt, dass Einer, der früher geboren wurde Vorrang hat vor Einem, der später dazu gekommen ist, also ein dem Alter zugeordnetes Vorrecht hat. Diese zweite Ordnung des kollektiven Gewissens, gibt jedem in der Sippe seinen gemässen Platz, der ihm vom Alter her zusteht. Diese Rangordnung wirkt wie ein Grundgesetzt in die Familie hinein. Wenn ein Gruppenmitglied gegen diese Ranordnung verstösst, scheitert es. Die Rangordnung wird verletzt, wenn ein später Dazugekommener einen höheren Rang einnehmen will, also einem früher Geborenen seinen Platz wegnimmt oder streitig macht.

 Die Reihenfolge der Rangordnung:

  1. innerhalb der Familie: zuerst kommen die Eltern, dann die Kinder; das Erstgeborene hat Vorrecht vor dem Zweitgeborenen usw., Pflegkinder kommen in der Reihenfolge am Schluss, abhängig vom Datum, wenn sie zur Familie dazugestossen sind, jedoch werden sie nicht zum Familiensystem dazu gezählt, da sie keine leiblichen Kinder sind, sie zählen zum System ihrer Eltern, auch wenn sie diese nicht kennen;
  2. zwischen den Familien: wenn ein Kind erwachsen wird, heiratet und eine eigene Familie gründet, hat die neugegründete Familie Vorrang vor der Ursprungsfamilie;
  3. bei Gründung einer zweiten Familie oder Zweiteheschliessung: das neue Familiensystem hat nur dann Vorrang vor dem früheren, wenn ein Kind daraus hervorgeht; dennoch hebt eine später gegründete Familie die Verbindung zur früheren Familie nicht auf genauso wenig wie eine eigene Familie die Verbindung zur Herkunftsfamilie nicht auflöst;
  4. innerhalb einer Firma: zuerst kommt der Firmeninhaber, der die Firma gegründet hat, dann die Mitarbeiter chronologisch nach ihrem Beitritt. Wenn mehrere Mitarbeiter gleichzeitig eingestellt wurden, hat wieder der Ältere Vorrang vor dem Jüngeren. Auch ein erstes Produkt hat Vorrang vor einem später eingeführten Produkt, genauso wie eine erste Abteilung immer Vorrang vor einer zweiten hat;
  5. innerhalb einer Gruppe wie zum Beispiel einem Verein: zuerst kommt das Gründungsmitglied, welches Initiator war für die Gründung des Vereins, dann dem Alter entsprechend die anderen Gründungsmitglieder, danach ist das Beitrittsdatum massgebend;

Im Laufe der Zeit rückt jedes Familienmitglied in der Rangfolge von unten nach oben, weil Spätere dazukommen.

Das Absurde an der Wirkungsweise des kollektiven Gewissens ist, dass es gleichzeitig Nachkommen in die Pflicht nehmen kann, um begangenes Unrecht zu sühnen, dies jedoch parallel dazu gar nicht erlaubt und als Übertretung der Rangordnung ahndet, was zum Scheitern oder Untergang dieser Person führen kann. Das kollektive Gewissen hat kein Mitleid und kennt kein Erbarmen mit dem Einzelnen. Der einzige wirkliche Ausweg aus diesem Dilemma wäre auch hier, dass die ausgeschlossene Person, durch gefühlte Liebe ihren Platz in der Familie und deren Seele zurückerhält.

Zu einer Verletzung der Rangordnung kommt es, wenn ein Kind zum Beispiel das Schicksal seiner Mutter oder seines Vaters übernehmen will. Es erhebt sich dadurch über seine Eltern.

Beispiel aus meiner Praxis - Benedikt, 10 Jahre  – Will den Schulweg nicht alleine gehen

Benedikts Mutter Sabine kam zu mir in die Sitzung, weil sich ihr Sohn Benedikt, seit Monaten nicht mehr alleine aus dem Haus getraute. Auf meine Frage, ob etwas passiert sei, antwortete die Mutter: „Ja, ich wäre beinahe an einem toxisch septischen Schock gestorben. Ich lag lange im Krankenhaus und man wusste nicht, ob ich durchkomme.“ Ich fragte die Mutter, ob ihre Beinprothesen und die fehlenden Fingerglieder mit dieser Krankengeschichte zu tun haben. Sabine antwortete mit JA. Ich sage zu ihr: „Ich glaube, Benedikt geht nicht mehr alleine aus dem Haus, weil er Dich beschützen will. Anders ausgedrückt, er will Dich vor dem Tod bewahren!“ Ich erklärte ihr, was Verstrickungen sind, und dass ich glaube, dass SIE davon betroffen ist und nicht ihr Sohn, sie dieser aber retten will. Sabine war sofort für eine Gruppenaufstellung bereit.

Ich stelle eine Stellvertreterin für Sabine in den Raum. Diese sieht sofort auf den Boden. Ich lege dort einen Mann hin. Sabine geht unter Tränen auf diesen Mann zu und setzt sich zu ihm. Dieser gebärdet sich ganz komisch, er klammert sich an Sabines Beine fest und lässt nicht mehr los. Es kommt zwischen ihnen zu einem Gerangel und es sieht aus, als wäre Sabine in diesem Kampf zwar mit ihrem Leben davon gekommen, hätte aber ihre Beine dafür als Preis zurückgelassen. Der Vater und Benedikt sehen dabei gebannt zu. Benedikt will die ganze Zeit zu seiner Mutter, um ihr zu helfen, aber sein Vater hält ihn zurück. Die Mutter kommt auf den Händen zu ihrer Familie zurück gekrochen und ihr Mann hält sie lang Zeit fest. Dann verneigen sich alle gemeinsam vor diesem Mann und seinem Schicksal und bedankten sich dafür, dass er Sabine ihr Leben gelassen hat. Der Mann schliesst danach die Augen. Die Familie lasse ich einige Schritte rückwärts gehen, sich zurückziehen, dem Mann jedoch zugewandt, bis ich spüre, dass alle sichtlich aufatmen. Nach dieser Aufstellung ging Benedikt wieder alleine zur Schule. Es hatte also tatsächlich „nur“ mit der Verstrickung seiner Mutter zu tun und nicht mit ihm selbst, Benedikt wollte das Schicksal von seiner Mutter übernehmen und für sie sterben unter dem Motto „lieber sterbe ich als Du, Mama!“ .Benedikt hat hier klar die Rangordnung missachtet.

 

DAS GEISTIGE GEWISSEN
Das geistige Gewissen erfahren wir beim Familienstellen. Es führt uns über die Grenzen des persönlichen und des kollektiven Gewissens hinaus, die diese durch die Unterscheidung von Gut und Böse und von Zugehörig und Ausgeschlossen setzen. Das geistige Gewissen schützt uns davor, die Grenzen des kollektiven Gewissens zu missachten und es hält uns dazu an, die Rangordnung in besonderer Weise anzuerkennen, denn es weiss sich allen Menschen gleich und ebenbürtig. Diese geistige Bewegung ist allen und allem Gleichermassen zugewandt, daher dient sie gleichzeitig dem Leben, der Liebe und dem Frieden in den Familien.

Das geistige Gewissen reagiert auf eine Bewegung des Geistes, jenes Geistes, der alles bewegt, auf eine schöpferische Art und Weise. Alles ist dieser Bewegung unterworfen, ob wir es wollen oder nicht, ob wir uns fügen oder ob wir Widerstand leisten.

Wer in Einklang mit den Bewegungen des Geistes kommt, kann nicht anders, als allen Gleichermassen zugewandt zu sein. Mit Wohlwollen und Liebe wird er JA sagen zu allem wie es ist, was immer deren Schicksal ist oder war, denn die Liebe kennt keine Grenzen. Schlussendlich ist es ein JA sagen zum Leben wie es ist, mit allem Schönen und mit allem Schwierigen.

Gehen mit dem Geist heisst, gehen mit einer anderen Liebe. Es ist ein erfasst werden von einer anderen Liebe. Einer Liebe, die Grenzen überwindet. Nach dieser Erfahrung gibt es kein Zurück mehr, denn es ist eine Bewegung der Seele, die nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Diese Liebe erfasst uns nicht nur, sie verändert uns.

Im Einklang mit dieser Bewegung fühlen wir uns von diesem Geist getragen. Wir fühlen uns gut und unbesorgt, auf eine gewisse Weise innerlich geführt. Wir wissen im Moment, was der Augenblick von uns fordert und wir fühlen uns auch in der Kraft die nötigen Schritte zu tun.

Wenn wir uns im Widerstreit mit dieser geistigen Bewegung befinden, sind wir unruhig und reagieren ängstlich auf unser Umfeld. Wir fühlen uns blockiert, nicht im Stande einen klaren Gedanken zu fassen. Wir drehen uns im Kreis und haben keine Ahnung wie es weitergehen soll. Wir fühlen uns verloren.

Lösung von Verstrickungen im geistigen Sinne
Erst im Einklang mit dem geistigen Gewissen kommt es zu Lösungen, um die von den anderen Gewissen gesetzten Grenzen zu überwinden und um der Liebe in unseren Beziehungen in einem umfassenden Sinn den Weg zu öffnen. Das heisst, die Ausgeschlossenen bekommen die Ehre, den Platz und den Rang, der ihnen zusteht. Und die Späteren lassen die Schuld und deren Folgen dort, wo sie hingehören. Sie ziehen sich demütig daraus zurück. Es kommt zu einem Ausgleich, der für alle Anerkennung und Frieden bringt.



ORDNUNGEN DER LIEBE
Auch der Liebe in einer Familie oder Sippe sind klare Grenzen gesetzt. Sie hält sich an Gesetze und Ordnungen, die das Leben gelingen lassen. Werden diese jedoch überschritten, kommt das ganze Familiengefüge in Unordnung. Dies können wir vor allem an der Wirkung sehen, welche solche Ordnungs-Übertretungen mit sich bringen. Diese haben oft schlimme Folgen für das ganze Familiensystem.

Es gibt jedoch verschiedene Beziehungsformen. Das heisst, in der Beziehung zwischen Eltern und ihren Kindern herrschen andere Gesetze als zum Beispiel zwischen einem Paar oder innerhalb der ganzen Sippe.

 

DIE  REIHENFOLGE DER ORDNUNGEN DER LIEBE

1a) Geben und Nehmen zwischen Eltern und Kindern
Eltern geben ihren Kindern, was sie von ihren Eltern bekommen haben. Dafür geben die Kinder später alles, was sie von ihren Eltern erhalten haben weiter an ihre Kinder. Wie ein Ball, der von Generation zu Generation weitergereicht wird.

Die Kinder nehmen ihre Eltern mit allem, was sie sonst noch von ihnen erhalten, wie zum Beispiel Ernährung, Erziehung, Schutz, Ausbildung und ein Zuhause.

Bei der ersten Ordnung gelten folgende Regeln: Wer gibt der darf geben, weil er vorher genommen hat (die Eltern) und wer nimmt der darf nehmen (die Kinder) weil er später auch gibt. Wer früher war muss mehr geben und wer später kam, darf mehr nehmen.

Eltern und Kinder bilden zusammen aber auch eine sogenannte Schicksalsgemeinschaft. Hier gibt es eine Ausnahme bei der Regel von Geben und Nehmen zwischen Eltern und Kinder. Hier gibt jeder jedem, auch die Kinder den Eltern. Hier geht es aber mehr darum, dass jeder in der Familie mithilft, weil man darauf angewiesen ist.

Wenn ein Kind etwas nimmt oder gibt, was ihm nicht gehört oder zusteht, wird es durch das kollektive Gewissen zur Rechenschaft gezogen und bezahlt für diese Anmassung, ohne dass es um den Zusammenhang weiss, einen hohen Preis. Entweder ist es zum Scheitern verurteilt oder es bezahlt sogar mit seinem Leben. Ein Beispiel von einem unrechtmässigen Erwerb wäre, wenn das Letztgeborene, anstelle des Erstgeborenen den elterlichen Bauernhof übernimmt oder das Haus seiner Eltern oder wenn es ein Erbe annimmt, das ihm nicht gehört. Das bedeutet, wenn wir sieben Geschwister sind, darf der 5. Geborene nicht einfach das Elternhaus übernehmen. Zuerst müssen die vor ihm Geborenen gefragt werden. Nur wenn diese einverstanden sind, weil sie vielleicht schon ein eigenes Haus haben, oder nicht in dieser Gegend leben wollen, dann ist es legitim, wenn der 5. Geborene es übernimmt.

1b. Geben und Nehmen zwischen den Geschwistern
Auch hier gilt die Regel: Wer vorher war der gibt, wer später kam, der nimmt. Das erste Kind gibt also dem zweiten und dritten, und das zweite nimmt vom ersten und gibt dem dritten, und das dritte nimmt vom ersten und vom zweiten usw. Das älteste Kind gibt also mehr und das jüngste Kind nimmt mehr. Dafür pflegt es oft im Alter seine Eltern.

Besonderes:
Es handelt sich beim Geben der Eltern und beim Nehmen der Kinder vor allem um das Geben und Nehmen des Lebens. Das heisst im weitesten Sinne, dass wir mit der Zeugung und der Geburt alles von unseren Eltern erhalten haben, was wir zum Leben und zum Glücklichsein brauchen. Alles weitere ist eine Zugabe und somit ein Geschenk. Unsere Erwartungen an unsere Eltern sind aber oft viel grösser.

Zu den Ordnungen der Liebe gehört also, dass das Kind das Leben von seinen Eltern so nimmt, wie es ihm geschenkt wurde, als Ganzes, ohne Wenn und ohne Aber, zum vollen Preis, den es das Kind kostet und den es seine Eltern kostet.

Die Kinder können also dem, was sie von ihren Eltern erhalten haben, nichts hinzufügen oder nichts davon weglassen. Wenn ein Kind das vermeintlich Schlimme oder Böse von seinen Eltern nicht will, dann verschliesst es sich auch vor dem Guten.

2. Gabe und Geber müssen geehrt werden
Die zweite Ordnung der Liebe zwischen Eltern und Kindern und zwischen den Geschwistern verlangt, dass das Erhaltene auch gebührend gewürdigt wird. Denn nur wer in dieser Haltung nimmt und anerkennt, was er bekommen hat, wird etwas aus dem Erhaltenen machen.

Wie schön ist es für die Eltern und wie stolz sind sie, wenn ihre Kinder etwas aus dem Leben machen, welches sie ihnen geschenkt haben! Und wie armselig ist dagegen der Lohn, wenn die Kinder ihr Leben wegwerfen oder ständig Unfug treiben, in dem sie die Ehre ihrer Eltern beschmutzen.

3. Die Rangordnung muss eingehalten werden
Die dritte Ordnung betrifft die Rangordnung innerhalb einer Familie. Diese verläuft wie das Geben und Nehmen immer von oben nach unten und von früher nach später. Das nicht Einhalten dieser von der Natur vorgegebenen natürlichen Rangfolge in einer Familie bezahlt der Zuwiderhandelnde oft mit Scheitern oder sogar mit seinem Tod.

Die Ordnungen der Liebe werden verdreht, wenn Spätere geben und Frühere nehmen, also wenn zum Beispiel in einer Familie die Eltern von ihren Kindern nehmen oder umgekehrt die Kinder ihren Eltern geben wollen, als seien sie deren Eltern.

Kleines Beispiel hierzu: Während einer Aufstellung beginnt die Mutter im Feld laut zu weinen. Ihre Tochter sitzt neben mir auf dem Stuhl und sieht von aussen zu. In dem Augenblick als ihre Mutter zu schluchzen beginnt, springt das Mädchen von seinem Stuhl hoch und läuft schnurstracks zu ihrer Mutter hin, um diese zu trösten, so als wäre sie deren Mutter und nicht umgekehrt. Ich hole das Mädchen sofort auf seinen Platz zurück und erkläre ihr ihre "Anmassung" (im übergeordneten Sinne) der Mutter gegenüber. Jeder Elternteil versteht hier auch sofort, auch wenn er zu weinen beginnt, er ist selbst stark genug, um seine Probleme selbst zu tragen.

Die Reichweite der Ordnungen der Liebe in einer Sippe wird vom kollektiven Gewissen gesteuert. Dieses regelt, wie bereits im vorherigen Kapitel besprochen, wer zur Sippe dazugezählt wird und wer nicht, bzw. wen diese Liebe mit einbindet und wen nicht. Hier wirkt das kollektive Gewissen wie ein übergeordneter Ordnungs- u. Gleichgewichtssinn, der sich dafür einsetzt, dass niemand aus der Sippe verloren oder vergessen geht. Es geht um die Vollzähligkeit der Gruppe und es gehören die Lebenden und die Toten dazu, manchmal bis in die 4. und 5. Generation zurück.

4. Die Sippenbindung
Das Interessante an der Sippenbindung ist, dass sie wie eine Schicksalsverbindung wirkt, in der jeder mit jedem unbewusst verbunden ist sogar über den Tod hinaus. Stirbt ein Mitglied der Familie auf ungewöhnliche Weise, z.B. durch einen frühen Tod, wollen ihm andere nachfolgen. Sie sagen dann zu dem Toten innerlich, „ich folge dir nach“.

Oft sind es die Kleinen und Schwachen, also unsere Kinder, die am meisten lieben und dadurch das Leid in der Familie abgrundtief spüren und dann stellvertretend für die Grossen innerlich sagen,  „lieber werde ich krank als Du“ oder „lieber sterbe ich an deiner Stelle“ oder  „lieber verschwinde ich als Du“ oder „lieber sühne ich für deine Schuld“. Damit verbunden ist die Vorstellung, dass sie jemandem sein Schicksal abnehmen und stellvertretend für diesen sein schlimmes Schicksal übernehmen können. Es ist eine triebhafte Bewegung und ein irrsinniger Glaube, denn es hilft nicht wirklich und macht auch niemanden wieder lebendig.

Bei einer Identifizierung werden nachkommende Familienmitglieder in die Pflicht genommen, um ausgeschlossene oder ausgeklammerte Familienmitglieder, auch wenn diese schon lange tot sind im Gegenwartssystem zu erinnern, bis deren Rechte in der Familie wiederhergestellt sind. Dieser übergeordnete Gerechtigkeitssinn dient der Vollständigkeit der Sippe. Er sorgt dafür, dass niemand im System verloren geht, und dass sämtliches Unrecht ausgeglichen wird. Dafür bedient er sich unschuldiger Familienmitglieder, die stellvertretend für die Schuldigen zur Rechenschaft gezogen werden, um das Leben und Schicksal der Ausgeschlossenen zu vertreten, solange bis deren Recht in der Familie wiederhergestellt ist. Diese Nachfolgenden leben und leiden dann durch diese Identifizierung genau so wie die verloren gegangenen und vergessenen Seelen es getan haben. In der Sippe müssen also unschuldige Mitglieder für die Schuldigen haften. Damit soll das Unrecht an den Früheren wiedergutgemacht werden.

Wer aber um diese Schicksals-Bindungen weiss, kann sich wissend daraus lösen. Besonders eindrücklich kommen diese schicksalhaften Verstrickungen beim Familienstellen ans Licht. Wenn den Ordnungen der Liebe in der Familie Folge geleistet wird, hört nämlich die kollektive Sippenhaftung für geschehenes Unrecht auf. Die Ausgeschlossenen werden dann von ihren Nachkommen durch gefühlte Liebe und mit dem ihnen gebührenden Respekt wieder ins Familienfeld mit aufgenommen. Ihre Ehre wird damit in der Familie wieder hergestellt. Wir verlieren durch Hinsehen im Familienstellen die Angst vor dem Geschehenen und können die Vergangenheit endlich Vergangenheit sein lassen. Wenn wir diesen Ausgeklammerten in unserer Seele den Platz gewähren, der ihnen gebührt, sind wir mit ihnen im Frieden und fühlen uns, weil wir alle, die zu uns gehören, auch (gefunden) haben, vollkommen und ganz.

Eine Verstrickung ist der Überbegriff für eine Identifizierung, eine Übernahme oder eine Nachfolge.

DIE ORDNUNGEN DER LIEBE ZWISCHEN MANN UND FRAU
Zur Ordnung der Liebe zwischen Mann und Frau gehört als erstes und als wichtigstes, dass das Fundament einer Paarbeziehung auf Liebe aufgebaut ist. Das heisst, dass sich beide, Mann und Frau, wirklich lieben und vor allem auch gegenseitig wollen, genau so wie sie sind. Alle anderen Gründe, weshalb jemand geheiratet wird, so z.B. weil er reich ist oder Ansehen geniesst, taugen nicht für eine solide Beziehung und sind zum voraus zum Scheitern verurteilt.

Als Zweites gehört zu den Ordnungen der Liebe zwischen Mann und Frau, dass sie auf ein Drittes hingeordnet sind, nämlich auf ein Kind. Erst als Vater wird ein Mann im vollen Sinne zum Mann und erst als Mutter wird eine Frau im vollen Sinne zur Frau. Und erst durch ein Kind werden die Eltern unauflöslich miteinander verbunden.

Dennoch hat die Beziehung zwischen Mann und Frau Vorrang vor der Beziehung zu ihrem Kind. Also zuallererst kommt ihre Beziehung als Paar und erst als zweites kommt die Beziehung zu ihrem Kind.

Um ein wirklicher Mann zu werden, muss ein Mann auf seine erste grosse Liebe in seinem Leben verzichten, nämlich auf seine Mutter. Und eine Frau muss, um eine richtige Frau zu werden, auf die erste grosse Liebe in ihrem Leben verzichten, nämlich auf ihren Vater. Schaffen sie es nicht, wird der Mann anstatt ein richtiger Mann, ein Muttersöhnchen und bestenfalls ein Frauenheld und die Frau bleibt Vaters Tochter und eignet sich vielleicht als Geliebte aber niemals als Frau.

Aber wie wird ein Mann zum Mann und eine Frau zur Frau? Indem der Mann in jungen Jahren schon in den Bannkreis oder den Einflussbereich seines Vaters tritt, weg von seiner Mutter, und umgekehrt gehört eine Tochter frühzeitig in den Bannkreis ihrer Mutter, weg von ihrem Vater.

Zu den Ordnungen der Liebe zwischen Mann und Frau gehört, dass die Frau dem Mann folgt und der Mann der Frau dient. Was heisst das genau? Die Frau passt sich gewissermassen ihrem Mann an und folgt ihm in seine Familie, in seine Kultur, in seine Sprache. Sie lebt in seinem Land, zieht in sein Haus und  sie stimmt zu, dass auch die Kinder dem Vater folgen, so wie einst sie. Es gibt natürlich Ausnahmen. Wenn es in der Familie des Vaters schwerwiegende Schicksale gibt, dann fühlen sich die Kinder und der Vater sicherer im Bannkreis der Sippe der Mutter. Umgekehrt dient der Mann dem Weiblichen. Das heisst, er steht bei seiner Frau im Dienst zum Wohle seiner Familie. Er hilft der Frau in allen Belangen, steht ihr mit allem, was in seiner Macht steht, zur Verfügung damit die Familie gedeihen kann.

Wenn in einer Paarbeziehung keine Ebenbürtigkeit herrscht und sich das Paar nicht auf gleicher Augenhöhe begegnet, entsteht ein Ungleichgewicht in ihrer Partnerschaft. Die Ordnungen der Liebe zwischen Mann und Frau werden hier vermischt mit den Ordnungen der Liebe zwischen Eltern und Kind. Dann verhält sich ein Partner wie ein Kind, dass zu viel fordert oder bedingungslose Liebe vom anderen erwartet, so dass dieser nicht als sein Partner reagieren kann sondern in die Rolle seiner Mutter oder seines Vaters gedrängt wird. Dieses Verhalten führt früher oder später dazu, dass der, von dem zuviel erwartet wurde, sich zurückzieht oder geht.

Wenn ein Partner einen Teil des andern ablehnt, dann lehnt er diesen Teil auch in seinem Kind ab. Das heisst, was in einer Partnerschaft gegenseitig an Achtung, Liebe und Hilfsbereitschaft füreinander vorhanden ist,  geht automatisch auch auf das Kind über. Wo es an Respekt und Achtsamkeit in einer Paarbeziehung mangelt, fehlt dies auch gegenüber dem Kind.

Nur der Vollzug der Liebe macht einen Mann und eine Frau zum Paar und nur der Vollzug macht das Paar auch zu Eltern.

Der grösstmöglichste Vollzug in einer Paarbeziehung ist der sexuelle Vollzug.  Kein menschliches Tun ist genussvoller und nimmt uns ungleich mehr in die Pflicht. Kein menschlicher Akt ist in der Folge risikoreicher, denn Mutter und Kind sind durch Schwangerschaft und Geburt immer Leben und Tod ausgesetzt. Und trotzdem dient nichts mehr dem Leben und gibt uns nichts mehr Sinn im Leben, als wenn aus diesem Vollzug ein Kind entsteht. Nichts verlangt uns im Leben mehr ab als das Mutter und das Vater sein. Nichts lässt einen Mann und eine Frau innerlich mehr reifen. Alles andere im Leben erscheint dagegen klein und unscheinbar.

Ist Geben und Nehmen in der Sexualität nicht im Ausgleich weil zum Beispiel ein Partner  begehrt und der andere nur gewähren lässt, geschieht der Austausch nicht auf Augenhöhe, sondern von oben herab. Dies ist verletzend und unwürdig und macht den klein, der begehrt.

Wenn der Vollzug der Liebe in einer Ehe nicht gewährleistet ist, also kein Kind gezeugt werden kann, z.B. dadurch dass sich nachträglich herausstellt, dass einer der Partner zeugungsunfähig ist, oder dass sich ein Partner schon vor der Ehe hat sterilisieren lassen, ist die Bindung hinfällig, auch wenn beide Partner sie wollen. Die Partner trifft, wenn sie sich trennen weder Schuld noch Verpflichtung.

Wenn der Vollzug der Liebe nachträglich beeinträchtigt wird, zum Beispiel durch eine Abtreibung, ist die Beziehung beendet. Es ist ein Abbruch des Vollzugs und somit ein Bruch in der Beziehung obwohl die Bindung durch das abgetriebene Kind bleibt. Wollen die Partner ihre Beziehung dennoch weiterführen, müssen sich beide neu füreinander entscheiden, so als wäre es ihre zweite Beziehung.

Eine Beziehung oder eine Ehe aus der ein Kind hervorgeht, ist daher tatsächlich ein Bund fürs Leben. Diese erste Beziehung erweist sich als unauflösbar und ist stärker als jede weitere Bindung. Entsteht nach einer Trennung eine zweite Beziehung, gelingt diese nur, wenn der nachfolgende Partner die frühere Partnerschaft anerkennt und würdigt und sich darüber im Klaren ist, dass er an zweiter Stelle kommt und die erste Beziehung nach wie vor Vorrang hat. Zudem bleibt der Partner, der sich getrennt hat, bei seinem früheren Partner in der Schuld. Ein neues Familiensystem hat nur dann Vorrang vor dem früheren, wenn ein Kind daraus hervorgeht; dennoch hebt eine später gegründete Familie die Verbindung zur früheren Familie nicht auf.

Wenn zum Beispiel eine Frau ihren ersten Mann verlässt und mit einem zweiten Mann ein Beziehung eingeht, ist der zweite Mann dem ersten gegenüber zu Dank verpflichtet, auch wenn die Frau schon frei oder geschieden war, als die neue Beziehung entstanden ist. Es ist eine Würdigung an diejenigen, die Platz gemacht haben. Bleibt die Würdigung in oben dargestelltem Fall aber aus, wird der neue Partner seiner jetzigen Partnerin böse, da er sich unbewusst mit dem ersten, verlassenen Mann identifiziert und stellvertretend für diesen dessen Wut spürt und auch auslebt.

Der Bruch einer zweiten Beziehung wird oft als weniger schlimm erlebt als bei der ersten Trennung, da mit jeder eingegangenen Beziehung die Bindung weniger wird. Also werden parallel dazu Schuld und Verpflichtung gegenüber dem verlassenen Partner auch geringer.

Wird eine Partnerschaft oder eine Ehe leichtfertig getrennt, stirbt manchmal ein Kind oder es nimmt sich das Leben, so als würde es für ein grosses Unrecht sühnen.

Der Ausgleich in der Liebe zwischen Mann und Frau muss auch im Guten wie im Bösen stattfinden. Dass heisst, wenn ein Partner dem andern etwas Schlimmes angetan hat, muss der andere von ihm etwas als Ausgleich fordern, das ihn versöhnt. Oder er kann ihm auch etwas Schlimmes antun, jedoch der Liebe halber etwas weniger. In der Regel gilt: vom Guten etwas mehr und vom Schlechten etwas weniger, damit das Gute schlussendlich wieder die Oberhand gewinnt. Es ist das Bedürfnis nach Ausgleich, welches uns keine Ruhe lässt und uns zum Handeln zwingt. Dieser Druck lässt uns handeln. Es ist eigentlich das Ungleichgewicht, die Differenz zwischen Geben und Nehmen, die uns in der Beziehung hält und einen wiederkehrenden Austausch möglich macht. Denn wenn tatsächlich alles ausgeglichen wird, ist die Beziehung beendet. Wenn zum Beispiel ein Opfer, dem Schlimmes angetan wurde, sich zu gut ist, um dem andern böse zu sein, dann kommt es nicht zum Ausgleich und die Beziehung ist damit gefährdet.

ORDNUNGEN DER LIEBE IM BEZUG ZUM TRAGENDEN GANZEN
Die Beziehung zu Gott (oder der höheren Macht) erschaffen wir uns selber, je nach Bild, welches wir von ihm (oder ihr) mitbekommen haben, durch den Glauben in der Familie und ihrer religiösen Einstellung. Wir können also wie ein Kind zum Vater hochschauen und uns vor ihm fürchten. Oder wir behandeln ihn als unseren Freund und glauben, wenn wir ihm Gutes tun, müsste er uns auch mit Gutem überschütten. Oder wir benehmen uns ihm gegenüber wie Eltern und sagen ihm, was er in unseren Augen falsch gemacht hat, und was er besser hätte machen können. Es sind deren Formen viele, die wir uns zu eigen gemacht haben, jeder mit bestem Wissen und Gewissen und jeder glaubt sich im Recht. Doch müssen wir lernen über unser Gewissen hinauszugehen, um die Tiefen und Tragweiten dieser Macht nur ansatzweise zu erahnen.

ORDNUNGEN DES HELFENS 

  1. Der Helfer/Therapeut gibt nur das, was er hat und nimmt und erwartet nur das, was er wirklich braucht. Hier geht es darum, ob der Helfer/Therapeut überhaupt helfen darf oder kann. Er anerkennt seine Grenzen und achte und respektiert die seines Klienten.
  2. Der Helfer/Therapeut passt sich den Umständen an und greift nur soweit unterstützend ein, wie es die Umstände erlauben. Dieses Helfen ist zurückhaltend und hat Kraft. Es geht darum, dass Schicksale oder Umstände, die nicht zu ändern sind, anerkannt werden, was heisst, der Helfer/Therapeut mutet dem Klienten eine schwierige Wahrheit zu ohne sie zu beschönigen oder abzuschwächen.
  3. Der Helfer/Therapeut tritt einem Erwachsenen, der Hilfe sucht, als Erwachsener gegenüber und lässt sich nicht in die Rolle von Vater oder Mutter manövrieren.
  4. Der Helfer/Therapeut vertritt nicht nur den Klienten, sondern alle Familienangehörigen. Er gibt allen, auch den Ausgeschlossenen, einen Platz in seinem Herzen. Der Helfer/Therapeut geht nicht nur auf das persönliche Problem eines Einzelnen ein, sondern hat immer die Familie als Ganzes im Blickfeld.
  5. Wichtig ist, dass der Helfer/Therapeut jeden Klienten annehmen kann wie er ist, seien die Unterschiede zwischen ihnen und ihren Familien auch noch so gross. Nur wenn der Helfer/Therapeut den Klienten so anerkennen kann wie er ist, hat er kein Problem mit ihm zu arbeiten. Ansonsten steht ihm nämlich sein persönliches Gewissen im Weg.
  6. Der Helfer/Therapeut stimmt dem Schicksal seines Klienten zu, genau so wie es ist. Wenn er den Klienten bedauert, unterstützt er den Glauben des Klienten, etwas in dessen Leben hätte anders laufen können. Der Helfer/Therapeut verliert dadurch den Kontakt zur Wirklichkeit. Das, was war wird, wenn es Anerkennung findet zu einer Kraft.

 

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